Sie werden bei Hirnoperationen von lebenden Patienten gewonnen: Humane Hirnschnitte sind eine Besonderheit unter den Gewebeproben. An der exklusiven Alternative erforschen Neurowissenschaftler Fragestellungen, die sich mit Tierversuchen nur schwer beantworten lassen.

Wofür werden Humane Hirnschnitte gebraucht?   

Wenn Forschende Eigenschaften des Gehirns untersuchen wollen, werden normalerweise Gehirne von verstorbenen Patienten genutzt oder eben ein Tiermodell. Während im ersten Fall zwar Proteine und Strukturen untersucht werden können, aber nicht die Funktion, repräsentiert das Gehirn einer Maus natürlich nicht das eines Menschen. Diese Lücke können Humane Hirnschnitte füllen.  

Humane Hirnschnitte werden im Wesentlichen genutzt um: 

  • Die Funktionen des menschlichen Gehirns besser zu verstehen 

  • Krankheitsmechanismen zu erforschen  

  • Therapeutische Maßnahmen wie Medikamente oder Gentherapien zu erforschen und zu testen 

  • Schwächen von Tiermodellen im Sinne des sogenannten „translational gap“ – also der Lücke in der Übertragbarkeit zwischen dem Modell und dem Patienten – aufzudecken. 

Wie entstehen Humane Hirnschnitte?  

Humane Hirnschnitte werden im Rahmen von Operationen gewonnen, etwa bei einer Hirntumor-OP. Die häufigste Quelle sind Operationen bei fokalen Epilepsien. Die Indikation für eine Operation ist gegeben, wenn ein klar definierter Herd die Epilepsie verursacht und Patienten nicht auf medikamentöse Therapien ansprechen. Bei dem Eingriff entfernen Neurochirurgen das Zugangsgewebe und das erkrankte Hirngewebe. Für die Hirnschnitte wird nur entnommenes Gewebe genutzt, welches nicht für die histopathologische Diagnostik benötigt wird und ansonsten verworfen würde. Die lebenden Hirnzellen werden meist innerhalb von zwei bis drei Tagen „akut“ untersucht, können aber auch kultiviert und bis zu zwei Wochen am Leben erhalten werden. In dieser Zeit können Forschende das Hirngewebe ausgiebig untersuchen.

Beispiel aus der Forschung

Bei bestimmten Autoimmunerkrankungen greifen Antikörper das Gehirn an, was zu Psychosen, epileptischen Anfällen, Verhaltens- und Bewusstseinsstörungen führen kann. Die Wissenschaft hat zwar gezeigt, wie diese Antikörper in Tieren funktionieren, doch letztlich wurde der Mechanismus noch nie an menschlichem Gewebe untersucht.  

Für entsprechende Untersuchungen werden zunächst Antikörper von betroffenen Patienten isoliert und diese dann auf die humanen Hirnschnitte anderer Patienten gegeben. Die Forschenden können nun beobachten, wie die Antikörper einzelne Zellen oder zelluläre Netzwerke verändern und daraus Rückschlüsse über die Funktion der Antikörper ziehen. In diesem Fall dienen die Hirnschnitte also zum besseren Verständnis von Krankheitsmechanismen.  

An Hirnschnitten wurden außerdem bereits bedeutende Unterschiede zwischen menschlichen Gehirnen und denen von Nagetieren aufgezeigt. In einer Science-Publikation wurde etwa beschrieben, dass bestimmte Fortsätze in humanen Nervenzellen Aktivitäten zeigen, die im Nager nicht bekannt sind. Diese unterschiedlichen Aktivitäten führen dazu, dass der Mensch ganz andere Fähigkeiten besitzt, Informationen zu verarbeiten, nämlich viel effizienter. 

Diese Erkenntnisse führen zwar nicht zu neuen therapeutischen Maßnahmen, aber sie zeigen die Limitationen von Tierversuchen auf, etwa bei Medikamentenstudien. In diesem Fall liefern humane Hirnschnitte wichtige Erkenntnisse über die „Translational Gap.“

Wesentliche Vor- und Nachteile bzw. Limitationen

Vorteile:

  • Das menschliche Gehirn unterscheidet sich deutlich vom dem von Nagetieren. Humane Hirnschnitte können folglich die menschliche Hirnfunktion logischerweise besser repräsentieren.  

  • Mit humanen Hirnschnitten können Fragestellungen beantwortet werden, die sich mit Tierversuchen aufgrund der Speziesunterschiede nicht beantworten lassen. 

  • Anders als an Gewebeproben von Verstorbenen lässt sich an humanen Hirnschnitten die Funktion des Gehirns bis zu einem gewissen Grad abbilden.  

  • Sogar Gedächtnisprozesse lassen sich an humanen Hirnschnitten untersuchen. Dazu wird Verstärkung oder Abschwächung der synaptischen Übertragung über Elektroden als Korrelat zum Kurzzeitgedächtnis auf Hirnschnittebene untersucht und mittels hochauflösenden Sequenzierungsmethoden molekulare Signaturen des menschlichen Gedächtnisses ermittelt.  

  • Anhand der Funktionsweise humaner neuronaler Netzwerke kann gezeigt werden, wie das Gehirn arbeitet. Daraus lassen sich neue Ansätze für die Informationstechnologie inklusive Künstlicher Intelligenz entwickeln.  

 

Nachteile bzw. Limitationen:

  • Gewebeproben aus dem Gehirn sind ein knappes Gut. Versuche lassen sich nicht gut planen, da Forschende von Zulieferungen aus der Klinik abhängig sind.  

  • Humane Hirnschnitte stammen meist aus erkranktem Gewebe. Dadurch ist es erschwert und teilweise unmöglich, adäquate Kontrollexperimente durchzuführen. Häufig sind weitere bzw. Bestätigungsexperimente nötig, um die Aussagekraft der Versuche zu verifizieren.  

  • Ein Hirnschnitt repräsentiert nur einen kleinen Ausschnitt des Gehirns. Es ist also letztlich auch nur ein Modell.  

  • Man kann nicht generell sagen, dass Versuche mit humanen Hirnschnitten aussagekräftiger sind als der Tierversuch. Es kommt auf die Fragestellung an. Für einige Forschungsfragen braucht es eben doch einen lebenden Organismus.  

Ausblick

Humane Hirnschnitte könnten künftig in der präklinischen Forschung eine größere Rolle spielen als heute. Vorstellbar ist, dass die Modelle vor dem Tierversuch eingesetzt werden, um herauszufinden ob eine neue Substanz überhaupt im menschlichen Hirngewebe wirkt und ob es sich lohnt, weiter zu forschen. Dadurch könnten Ressourcen bzw. Tierversuche eingespart werden.  

Wie relevant humane Hirnschnitte in zehn oder zwanzig Jahren sein werden, lässt sich heute schwer sagen. Der medizinische Fortschritt ist zu rasant. Vorerst aber bleiben die Modelle ein wichtiger Baustein in der Hirnforschung.

Stand 2025
Basierend auf einem Interview mit PD Dr. med. Pawel Fidzinski, Brainlab Humangewebe / Leitung Experimentelle Epileptologie, Institut für Neurophysiologie, Charité Universitätsmedizin Berlin 

Text
Beatrice Hamberger

Bilder
Alice Podesta & Pawel Fidzinski @ Experimentelle Epileptologie / Klinik für Neurologie CCM
Schemazeichnung erstellt mit Biorender®
Erläuterung Sliderbild oben: Blick durch das Mikroskop auf einen Hirnschnitt mit Elektrode, die Fasern im Hintergrund gehören zur Papierunterlage