Patient-derived Organoids (PDOs) - zu Deutsch „von Patienten abgeleitete Organoide“- sind heute aus der biomedizinischen Forschung nicht mehr wegzudenken. Praktisch alle großen Volkskrankheiten können an den Mini-Organen erforscht werden. PDOs tragen dazu bei, Tierversuche zu reduzieren und zu ersetzen.
Wofür werden PDOS gebraucht?
Prä-klinische Forschung
Viele Dinge kann man nicht am Menschen erforschen, weil es ethisch nicht vertretbar wäre. Hier kommen PDOs ins Spiel. Die Einsatzgebiete sind sehr breit: Sie reichen von der Erforschung von Krebs über Herz-Kreislauferkrankungen und neurodegenerativen Erkrankungen bis hin zu Seltenen Erkrankungen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können mit Hilfe der Mini-Organe verschiedenste Fragestellungen beantworten, zum Beispiel
Personalisierte Medizin
PDOs können auch für individuelle Fragestellungen genutzt werden, etwa um herauszufinden, welche Krebsmedikamente bei einer Patientin mit Eierstockkrebs anschlagen. Solche Untersuchungen werden im Rahmen von klinischen Studien bereits durchgeführt und die Studienergebnisse erscheinen vielversprechend. Einen soliden Tumor mit all seinen verschiedenen Zellen und Eigenschaften zu modellieren, ist aber nicht trivial und kostet Zeit und Geld. Momentan handelt es sich dabei um experimentelle Verfahren und Studien, die von den Krankenkassen nicht finanziert werden.
Wie entsteht ein PDO?
Praktisch jede Körperzelle enthält den Bauplan für den ganzen Menschen. Dieses Potenzial machen sich Forschende bei den Organ-Modellen zunutze.
Anders als Organoide, die aus Stammzellen entwickelt werden, stammen Patient-derived Organoids aus allen möglichen Körperzellen. Forscher extrahieren diese Körperzellen aus Gewebeproben von Patientinnen und Patienten, die beispielsweise bei einer diagnostischen Untersuchung oder einer Operation entnommen werden.
Organe wie etwa Herz, Leber, Lunge, Nieren, Darm, Bauchspeicheldrüse, Haut und sogar das Gehirn können damit als kleine Gewebstücke nachgebildet werden, oftmals auch solide Tumore. Ein Lungenkrebs-PDO stammt zum Beispiel aus dem Tumorgewebe bzw. Tumorzellen der Lunge.
Die Organ-Modelle sind jedoch wesentlich kleiner als das eigentliche Organ, das sie repräsentieren, nämlich kleiner als ein Zentimeter. Aber sie sind ebenfalls dreidimensional. Die Dreidimensionalität ist ein ganz wichtiges Merkmal von PDOs, da dies mehr der natürlichen Situation entspricht als die übliche zweidimensionale Zellkultur.
Damit aus einzelnen Zellen dreidimensionale Modelle werden, müssen Forschende ihnen auf die Sprünge helfen. Das geschieht zum einen mit Hilfe einer extrazellulären Matrix und zum anderen durch die Zugabe eines reichhaltigen Cocktails aus Wachstumsfaktoren, Nährstoffen und weiteren Bestandteilen.
Die extrazelluläre Matrix bietet den Zellen zudem ein Gerüst, an dem sie räumlich, also in drei Dimensionen wachsen können. Am häufigsten verwenden Forschende ein ‚Matrigel‘, das kommerziell erhältlich ist. Das Gel wird allerdings aus Tumoren von Mäusen gewonnen. Inzwischen gibt es aber auch tierfreie Alternativen, etwa aus Algen.
Die kleinen Gebilde wachsen in Inkubatoren bei Körpertemperatur auf und sind frühestens nach etwa einer Woche zu einem PDO herangereift, komplexe Strukturen brauchen auch länger. Dann können die Experimente beginnen.
Einige wenige Kinder benötigen schon im Säuglingsalter eine Lebertransplantation. Bei dieser seltenen Erkrankung fibrotisiert und nekrotisiert der Gallentrakt in der Leber. Das heißt, das erkrankte Gewebe verhärtet sich und stirbt zum Teil ab. Forschende des BIH versuchen zusammen mit Kinderärzten der Charité herauszufinden, wie es zu diesem lebensbedrohlichen Umbau kommt. In dem Projekt kommen neben sogenannten Transkriptomanalysen auch Organoide zum Einsatz. An den Organmodellen studiert das Forschungsteam, wie und warum sich die Zellen verändern, und testet auch mögliche Therapieoptionen aus. Die Hoffnung ist, Mittel und Wege zu finden, eine Lebertransplantation hinauszuzögern oder sie den Kindern sogar zu ersparen.
Vorteile von PDOs
Der große Vorteil dieser „Alternative“ ist, dass PDOs aus menschlichen Zellen bestehen und eine dreidimensionale Struktur besitzen.
Limitationen
Trotz dieser Vorteile sind PDOs letztlich Modelle, die die Realität nur in begrenztem Umfang abbilden können. Denn:
PDOs werden auch weiterhin wichtig für die klinische und präklinische Forschung bleiben. Eines der größten Potenziale dürfte in der Kombination mit verschiedenen humanen Modellen liegen. Auf einem Organ-on-a-Chip können heute schon mehrere Organe miteinander verbunden werden, auch ein Blutkreislauf wird dort schon simuliert. Ein weiteres Zukunftsfeld sind gentechnische Manipulationen mit der Genschere CRISPR/CAS in diesen Modellsystemen.
Darüber hinaus wäre es wünschenswert, personalisierte Krankheitsmodelle, insbesondere in der Tumordiagnostik, in die Klinik zu bringen. PDOs haben zweifelsohne dieses Potenzial. Realistisch betrachtet dürften einer breiten Anwendung jedoch der relativ hohe Aufwand und die noch ungelöste Kostenfrage entgegenstehen. Forschende sagen, dass PDOs derzeit noch relativ weit vom klinischen Management der Onkologie weg sind und dass es wahrscheinlich andere Methoden gibt, die wesentlich günstiger und eleganter für eine präzise Diagnostik sind. In der Krebsbehandlung wäre das zum Beispiel die Liquid-Biopsy.
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Stand 12/2024
Basierend auf einem Interview mit Prof. Dr. Christian Conrad - Berlin Institute of Health (BIH) und Charité - Universitätsmedizin Berlin
Text
Beatrice Hamberger
Bild
Fluoreszenzgefärbter intrahepatischer Cholangiozyten-Organoid (Zellkerne in blau, Mitochondrien in rot).
Quelle: Matylda Kuzinska (BSRT) und Alexander Sudy (intelligent imaging), BIH-Charité Universitätsmedizin